Bohren & Der Club of Gore

Bohren & Der Club Of Gore
07.03.2020
20:00 Uhr
Einlass: 19:00 Uhr
Eintritt: VVK: 25,- zzgl. Geb

Routinen gegen die Routine(n). Wenn Bohren (an)ruft, dann ist es wieder passiert. Auch wenn zwischenzeitlich zwei Fußball-Weltmeisterschaften und zwei Olympiaden Revue passiert sind. Will sagen: wenn Bohren ruft, dann ist es Zeit, ein neues Album in etwas Flankierendes, etwas
Information einzuwickeln. Und weil Bohren eben Bohren sind, fällt schon einmal circa die Hälft des für derlei Schreibanlässe entwickelten rhetorischen Materials („sich neu erfinden“, „damit war
nicht zu rechnen“, „unerhörter Karriere-Move“) schlicht unter den Tisch. Nein, es geht hier nicht um: wenn gar nichts mehr geht, hilft nur Wiederholung wiederholen. Die Quadratur des Kreises
liest sich im Falle von Bohren nämlich so: was tun, wenn man als Band einen wirklich unverwechselbaren und unverkennbaren signature sound entwickelt hat, das einmal erreichte Niveau halten, sich aber nicht wiederholen will? Die Lösung heißt Haltung und meint Arbeit. Arbeit
im Studio. Beharren. Verwerfen. Arbeiten an Feinheiten. Präzision. Sorgfältiges Arrangieren.
Experimentelle Orchestrierung bei begrenztem Instrumentarium. Vielleicht mal Gesang? Vielleicht eine von Mike Patton gesungene Version eines Warlock-Songs? Ein radikaler Stilwechsel ist mit Bohren – soll man sagen: zum Glück? – nicht zu machen. Was schließlich veröffentlicht wird, muss
dem Trio im hochsensiblen Bereich zwingend erscheinen. Mit „Bohren goes Country“ oder „Bohren plays 20 Jazz-Funk-Greats“ ist folglich nicht zu rechnen. Gucken wir mal! Etwas mehr als fünf Jahre nach „Piano Nights“ und etwas mehr als 11 Jahre nach „Dolores“ veröffentlichen Bohren & Der Club of Gore ihr nunmehr achtes Studioalbum. Es trägt den
ambivalent-verführerischen Titel „Patchouli Blue“ und enthält für die Band ungewöhnlich viele, nämlich 11 Tracks. Die Spieldauer dieser 11 Tracks hält sich dagegen im üblichen Rahmen eine guten Stunde, was natürlich auch impliziert, dass der spezifische Bohren-Vibe einer Auskostung von erhabener Langsamkeit innerhalb kürzerer Zeit etabliert werden muss, um seine ganz Schönheit zu entfalten. Alles wie gehabt also? Eher die Fortschreibung des über Jahrzehnt erarbeitete Level an Verbindlichkeit, das Nuancen produktiv zu machen versteht. In der Sprachwissenschaft findet sich der Begriff der Minimalpaare, in der ein Buchstabe den Unterschied
macht. Der Opener des Albums „Total falsch“ ist ein geradezu idealer Auftakt und gewissermaßen das genaue Gegenteil dessen, was der Titel verspricht. Klassisch Bohren. Je nach Temperament des Zuhörers braucht es vielleicht zweimal vier Töne oder vielleicht doch noch zweieinhalb
Minuten, um zu signalisieren: Du befindest dich auf Bohren-Terrain, rechne ab jetzt mit allem! Aber schon der Einsatz der Orgel ist schlicht zum in die Knie gehen, und das Saxophon lenkt dann die behutsam entwickelte Spannung in eine Landschaft, in der man eine Begegnung mit Jan Garbarek
nicht mehr ausschließen mag.
Denn eines ist mal klar, „Horror-Jazz“ hin oder her, Bohren ist die muckende Jazz-Attitüde des „heute so, morgen so“ wesensfremd. Hier gilt: SO MUSS DAS SEIN. So melancholisch Bohren auch klingen, die Haltung dahinter darf man durchaus als kämpferisch bezeichnen.
Ulrich Kriest, November 2019